Selbstbestimmtes Leben braucht Urteilskraft

Wir haben das große Glück, in einer Weltgegend zu leben, in der die Menschen­rechte Gültigkeit haben. Das verpflichtet. Seine Freiheit verspielt, wer sie nicht verant­wor­tungsvoll wahrnimmt. Wer zu allem eine Meinung, aber von Nichts Ahnung hat, treibt Schind­luder mit der Meinungs­freiheit. Wenn sich das in Wahler­geb­nissen nieder­schlägt, bekommen es alle zu spüren. Ahnungs­lo­sigkeit erkennt man an mangelnder Toleranz und nicht vorhan­dener Kompro­miss­fä­higkeit. Auch an fehlender Demut: Trotz eigener Meinungs­bildung wissen wir vieles nicht und ist Irrtum nie ausgeschlossen.

Das Fernsehen bietet mittler­weile jeden Abend mindestens eine Diskus­si­ons­runde, in der es um politische, wirtschaft­liche oder gesell­schaft­liche Themen geht. Einge­laden werden in solche Runden vornehmlich wortge­wandte Außen­seiter und einge­fleischte Inter­essen- oder Partei­en­ver­treter. Denn es soll ja kontrovers zugehen, damit es die Zuschauer spannend empfinden. Schließlich geht es auch hier um ‚Quote‘. Gewünscht werden knappe und prägnante Aussagen, keine Gedan­ken­gänge, die Zusam­men­hänge und Horizonte aufzeigen.

Die Modera­toren fallen ins Wort, wenn einer ausführlich wird. Suggestiv versuchen manche von ihnen, aus dem einen oder anderen Disku­tanten ‚Neuig­keiten‘, ‚Enthül­lungen‘ oder ‚Geständ­nisse‘ heraus­zu­pressen. So etwas würde in Windeseile seinen Nieder­schlag in den Schlag­zeilen des Blätter­waldes finden – das Erfolgs­er­lebnis eines jeden Moderators. Und der Zuschauer? Wird er durch solche Sendungen klüger? Oder werden allein seine Vorur­teile bestätigt?

Zur Aufbe­reitung Origi­nal­texte benutzen!

Im intel­lek­tu­ellen Niveau höher angesiedelt sind Tagungen und Podiums­ver­an­stal­tungen, zu denen Akademien, Stiftungen, Räte oder Gremien verschie­denster Couleur einladen. Auf dem Podium ‚hochka­rätige‘ Fachleute, im Saal inter­es­sierte und sachkundige Bürger, die am Ende die Möglichkeit zu einem ‚Diskus­si­ons­beitrag‘ erhalten. Die Podiums­teil­nehmer halten ein Kurzre­ferat oder geben ein längeres erstes Statement ab, dann geht es in die Podiums­dis­kussion. Die Veran­stalter achten in der Regel darauf, dass die unter­schied­lichen Stand­punkte – wie sie in der Öffent­lichkeit bekannt sind – zu Wort kommen.

Lässt sich so der Wahrheits­gehalt komplexer gesell­schaft­licher Zusam­men­hänge erschließen? Beispiels­weise: Gehört der Islam zu Deutschland oder nicht? Ist die Nutzung der Atomenergie zur umwelt­scho­nenden Strom­erzeugung beherrschbar oder nicht? Sicherlich sind solche Veran­stal­tungen für ein inter­es­siertes Publikum von Belang, aber sie sind nur ein Teil ihres perma­nenten Meinungs­bil­dungs­pro­zesses. Und der besteht zur Haupt­sache aus Lektüre. Denn nur sie ist nicht verstellt durch Rhetorik und löst den Gedan­ken­inhalt aus der Flüch­tigkeit der gespro­chenen Worte.

Drei Fähig­keiten lassen einen im Strom der Zeit mit ihrer Meinungs­vielfalt von Inter­es­sen­ver­tretern und Stimmungs­ma­chern nicht untergehen:

  1. die relevanten Fakten und Meinungen ausfindig machen (Recherche),
  1. das Aufbe­reiten der gesam­melten Infor­ma­tionen (Aktives Lesen),
  1. sich einen eigenen Stand­punkt erarbeiten.

Recher­chieren, Aktives Lesen, Bespre­chung schreiben

Recher­chieren heißt, Infor­ma­ti­ons­quellen aufspüren. Quellen! Nicht vorge­fil­terte und unter Gesichts­punkten von ‚Quote‘ oder ‚Auflage‘ abgefüllte Nachrichten. Also Origi­nal­texte zum Nachlesen. Denn die sind nicht flüchtig, wie es gespro­chene Worte sind. Ausdrucken oder sich zuschicken lassen! Videos und Dokumen­ta­tionen sind geeignet, um sich einen optischen und akusti­schen Eindruck zu verschaffen. In Youtube nachsehen. Man muss dabei präsent haben: Bild und Ton sind immer nur Ausschnitte, deren Perspektive, Licht­gebung, Montage und Akustik gestaltet sind – nicht selten auch manipuliert.

Aktives Lesen heißt, nach einem ersten zügigen Lesen entscheiden, ob der Text – Protokoll einer Rede, ein mit Namen verse­hener Kommentar, eine Studie, ein Interview, ein Sachbuch und anderes – zum gesuchten Thema wichtige Infor­ma­tionen und Aussagen enthält. Wenn ja, den Text mit der Methode des Aktiven Lesens aufbe­reiten. Diese Methode wird zu Beginn der SINNphOLL-Lesean­­gebote beschrieben. Das so aufbe­reitete Material in einem Archiv ablegen: Themen, Autoren, Stichworte.

Den eigenen Stand­punkt beziehen heißt, sich seine Meinung bilden. Man verdichtet seine Infor­ma­tionen. Prüft, ob es offene Fragen gibt, ob die eigenen Einsichten und Erfah­rungen für oder gegen die gegebenen Infor­ma­tionen und daraus gezogene Schluss­fol­ge­rungen sprechen. Ist die Gedan­ken­führung, die man beim Aktiven Lesen heraus­ge­funden hat, plausibel? Und dann formu­liert man seine eigene Meinung. Nicht nur als ‚Anmer­kungen‘, sondern wie einen eigenen Artikel, einen Diskus­si­ons­beitrag, eine Stellung­nahme. Das sollte man unbedingt tun, genauso wie das Recher­chieren und Aufbe­reiten der Texte. So kommt man zu einem fundierten Stand­punkt und einer begrün­deten Meinung.

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