Situatives und vorausschauendes Handeln

Bisweilen trifft man auf Menschen, von denen man den Eindruck hat, dass sie mit jeder Situation problemlos zurecht kommen. Entweder haben sie eine Ausstrahlung, die jede Szene bei ihrem Auftritt wie ein Magnetfeld auf sie ausrichtet, oder sie sind Natur­ta­lente in ihrer Anpassung an jegliches Umfeld. Erstere sind oft vitale Menschen mit hoher Intel­ligenz; die zweiten sind Personen großer Sensi­bi­lität, die sich in andere Menschen hinein­ver­setzen können. An beiden bewundere ich, dass es aussieht, als brauchten sie sich auf keine Situation vorzu­be­reiten. Sie kommen, sehen und siegen. Sie sind, wie sie sind, und erreichen damit, was sie wollen. Wer möchte nicht so leicht und locker durchs Leben gehen!

Wenn man die Gelegenheit hat, solche Menschen über längere Zeit zu beobachten – etwa in der Politik oder in der Wirtschaft –, stellt man fest: Sie sind wie Fische im Wasser, aber wehe sie geraten aufs Trockene. Also bleiben sie möglichst in ihrem Element. Aber das gelingt selten ein Leben lang. Schon manch einer ist irgendwann doch verkümmert. Mittler­weile glaube ich, es ist auf Dauer besser, gezwungen zu sein, sich auf Situa­tionen vorzu­be­reiten. Denn das gibt Stand­fes­tigkeit, insbe­sondere wenn andere versuchen, einen zu verführen, die Situation zu manipu­lieren. Wer sich Gedanken darüber macht, was vermutlich auf ihn zukommt, worauf er sich gefasst machen muss, womit er sich schon mal vertraut machen könnte, der erhöht seine Chancen, souverän zu agieren, wenn man spontan sein muss.

Voraus­schau­endes Denken und Handeln sollte zur Gewohnheit werden!

In der Schule und in der Berufs­aus­bildung gewöhnen sich viele an, auf Prüfungen beispiels­weise sich erst kurz vorher vorzu­be­reiten, obwohl der Termin schon lange bekannt ist. Wer mit dem Prüfungs­stoff durch ständige Beschäf­tigung mit dem Fach vertraut ist und Lernme­thoden entwi­ckelt hat, ihn am Prüfungstag abruf­bereit zu haben, der kann sich viel Stress ersparen. Zugegeben: Lehrer, Meister und Profes­soren sowie die vorge­ge­benen Prüfungs­ord­nungen machen es nicht leicht, das verlangte Pensum zu erfüllen. Doch das sollte nicht zur Folge haben, später im Beruf nicht mehr wissbe­gierig und lernfähig zu sein. Denn das ist die Voraus­setzung voraus­schau­ender Arbeits- und Lebensweise.

Zu den seltenen, aber für Gemein­schaften ungemein nützlichen Fähig­keiten gehört die spontane und situa­ti­ons­ge­rechte Rede. Das verlangt ein Gespür dafür, was hilfreich ist, um mit Worten einer Stimmung Ausdruck zu geben oder in einer festge­fah­renen Situation die Orien­tierung herzu­stellen und eine Lösung aufzu­zeigen. Adenauer hatte diese Fähigkeit: Nach vielstün­digen Debatten zum Beispiel in der Bundes­tags­fraktion, wenn keiner mehr wusste, wie denn nun zu entscheiden sei, nahm er das Wort, resümierte mit verständ­lichen klaren Sätzen die Argumente der Vorredner und gab dann kurz und präzise die Antwort, wie nach seiner Einschätzung zu entscheiden sei. Danach fühlten sich alle befreit und wollten nur noch abstimmen.

Voraus­schauend denken und handeln heißt:

  • Sich seine Neugier erhalten,
  • Sachver­halte recher­chieren und erschließen können,
  • Prognosen wagen und Szenarien erstellen,
  • Vorher­sagen und dann Wirklichkeit mitein­ander vergleichen,
  • sich auf Menschen einlassen,
  • seine Einsichten und Erleb­nisse immer wieder überdenken,
  • das Risiko des Abenteuers nicht scheuen – aber es kalkulieren.

Dann fließen situa­tives und voraus­schau­endes Handeln schließlich mehr und mehr inein­ander. Daraus erwächst das Gefühl, ein selbst­be­stimmtes Leben zu führen.

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