SINNphOLL-Thema: Sexua­lität

Folge 3:

Dem Himmel nahe

Gottes Ebenbild

Freiheit

Franz Böckle (1921 – 1991), Professor, Dr., Katho­li­scher Moral­theologe: „Der ganze Mensch, als Mann oder als Frau, ist Gottes Ebenbild.” Und: „Nicht eine Fülle von Vorschriften und Gesetzen macht den Menschen frei, sondern die Liebe. Nur wer empfangen und hingeben kann, der ist frei. Wer also nicht aus sich selbst, durch sich selbst und für sich selbst, sondern aus Gott und gerade so für den Mitmen­schen leben will, der ist frei.”

Und: „Die Zusam­men­fassung und Erfüllung aller sittlichen Gebote in der Liebe besagt nicht deren Auflösung, sondern eine kritische Sichtung aller gesetz­lichen Forde­rungen unter dem einheit­lichen Gesichts­punkt der radikalen Liebe. Damit ist kein grund­sätz­licher Verzicht auf allge­meine Weisungen ausge­sprochen etwa zugunsten einer rein indivi­du­ellen Selbst­be­stimmung unter Führung des Geistes.”

Zitate aus dem Artikel „Sexua­lität und sittliche Norm“, erschienen in der Zeitschrift „Stimmen der Zeit“ des Herder-Verlags, Heft 10, Oktober 1967

Ungetrübte Freude

Isabel Allende, Schrift­stel­lerin: „Er zog mir Bluse und Hemd aus, sog an meinen Brüsten, sagte, sie seien wie reife und süße Pfirsiche, auch wenn sie mir eher wie harte Pflaumen schienen. Und weiter erforschte er mich mit der Zunge, bis ich glaubte, vor Verlangen und Lust zu vergehen. Ich weiß noch, wie er sich rücklings auf den Blättern ausstreckte und mich nackt, feucht von Schweiß und Begehren auf sich reiten ließ, damit ich den Rhythmus unseres Tanzes vorgab. So verlor ich behutsam und wie im Spiel, ohne Furcht oder Schmerzen meine Jungfräu­lichkeit. Im Moment des Aufruhrs hob ich den Blick zur grünen Kuppel des Waldes und weiter hinauf zum gleißenden Sommer­himmel und schrie lange aus reiner, ungetrübter Freude.“
Zitiert aus Isabel Allendes Buch „Liebe“, Seite 83, erschienen als Taschenbuch im Suhrkamp Verlag 2011

Zukunft des Lebens

Ratzinger, Joseph, Cardinal, Präfekt der Kongre­gation für die Glaubens­lehre: „Der zweite Schöp­fungs­be­richt (Gen 2, 4–25) bekräftigt in unzwei­deu­tiger Weise die Wichtigkeit der geschlecht­lichen Verschie­denheit. Einmal von Gott geformt und in den Garten gesetzt, um ihn zu bebauen, macht jener, der noch mit dem allge­meinen Ausdruck Mensch beschrieben wird, die Erfahrung einer Einsamkeit, die von den anderen Tieren nicht ausge­füllt werden kann. Er braucht eine Hilfe, die ihm entspricht.

Dieser Ausdruck bezeichnet hier nicht eine unter­ge­ordnete Rolle, sondern eine vitale Hilfe. Das Ziel besteht darin, es möglich zu machen, dass das Leben des Menschen nicht in einer frucht­losen und am Ende tödlichen Beschäf­tigung nur mit sich selbst versinkt. Es ist notwendig, dass er mit einem anderen auf seiner Ebene lebenden Wesen in Beziehung tritt. Nur die Frau, die aus demselben ‚Fleisch‘ geschaffen und von demselben Mysterium umhüllt ist, gibt dem Leben des Mannes eine Zukunft.“

Zitat aus „Überle­gungen über einige Voraus­set­zungen für ein rechtes Verständnis der aktiven Zusam­men­arbeit von Mann und Frau in der Kirche und in der Welt“, von Papst Johannes Paul II. appro­biert und seine Veröf­fent­li­chung angeordnet am 31. Mai 2004

Von Gott erschaffen: Mann und Frau

Altes Testament: „Als Gott, der HERR, Erde und Himmel machte, gab es zunächst noch kein Gras und keinen Busch in der Steppe; denn Gott hatte es noch nicht regnen lassen. Es war auch noch niemand da, der das Land bearbeiten konnte. Nur aus der Erde stieg Wasser auf und tränkte den Boden.

Da nahm Gott, der HERR, Staub von der Erde, formte daraus den Menschen und blies ihm den Lebensatem in die Nase. So wurde der Mensch ein lebendes Wesen. Dann legte Gott im Osten, in der Landschaft Eden einen Garten an. Er ließ aus der Erde alle Arten von Bäumen wachsen. Es waren prächtige Bäume und ihre Früchte schmeckten gut. Dorthin brachte Gott den Menschen, den er gemacht hatte.

In der Mitte des Gartens wuchsen zwei besondere Bäume: der Baum des Lebens, dessen Früchte Unsterb­lichkeit schenken, und der Baum der Erkenntnis, dessen Früchte das Wissen verleihen, was für den Menschen gut und was für ihn schlecht ist.

In Eden entspringt ein Strom. Er bewässert den Garten und teilt sich dann in vier Ströme. Der erste heißt Pischon; er fließt rund um das Land Hawila, wo es Gold gibt. Das Gold dieses Landes ist ganz rein, außerdem gibt es dort kostbares Harz und den Edelstein Karneol. Der zweite Strom heißt Gihon; er fließt rund um das Land Kusch. Der dritte Strom, der Tigris, fließt östlich von Assur. Der vierte Strom ist der Eufrat.

Gott, der HERR, brachte also den Menschen in den Garten Eden. Er übertrug ihm die Aufgabe, den Garten zu pflegen und zu schützen. Weiter sagte er zu ihm: »Du darfst von allen Bäumen des Gartens essen, nur nicht vom Baum der Erkenntnis. Sonst musst du sterben.«

Gott, der HERR, dachte: »Es ist nicht gut, dass der Mensch so allein ist. Ich will ein Wesen schaffen, das ihm hilft und das zu ihm passt.«

So formte Gott aus Erde die Tiere des Feldes und die Vögel. Dann brachte er sie zu dem Menschen, um zu sehen, wie er jedes Einzelne nennen würde; denn so sollten sie heißen. Der Mensch gab dem Vieh, den wilden Tieren und den Vögeln ihre Namen, doch unter allen Tieren fand sich keins, das ihm helfen konnte und zu ihm passte.

Da versetzte Gott, der HERR, den Menschen in einen tiefen Schlaf, nahm eine seiner Rippen heraus und füllte die Stelle mit Fleisch. Aus der Rippe machte er eine Frau und brachte sie zu dem Menschen. Der freute sich und rief: »Endlich! Sie ist’s! Eine wie ich! Sie gehört zu mir, denn von mir ist sie genommen.«

Deshalb verlässt ein Mann Vater und Mutter, um mit seiner Frau zu leben. Die zwei sind dann eins, mit Leib und Seele. Die beiden waren nackt, aber sie schämten sich nicht voreinander.“

Auszug aus dem Alten Testament: Buch Genesis, Kapitel 2, die Verse 4b – 25; gemeinsame Übersetzung evange­li­scher und katho­li­scher Bibel­fach­leute, von der Deutschen Bibel­ge­sell­schaft 1982 unter dem Titel „Gute Nachricht Bibel“ veröffentlicht

Komm doch und küss mich!

Altes Testament: „SIE: Komm doch und küss mich! Deine Liebe berauscht mich mehr noch als Wein. Weithin verströmen deine kostbaren Salben herrlichen Duft. Jedermann kennt dich, alle Mädchen im Lande schwärmen für dich! Komm, lass uns eilen, nimm mich mit dir nach Hause, fass meine Hand!

Du bist mein König! Deine Zärtlichkeit gibt mir Freude und Glück. Rühmen und preisen will ich stets deine Liebe, mehr als den Wein! Mädchen, die schwärmen, wenn dein Name genannt wird, schwärmen zu Recht!

Schwarz gebrannt hat mich die Sonne, schwarz wie Bedui­nen­zelte, wie die Decken Salomos. Trotzdem bin ich schön, ihr Mädchen aus der Stadt Jerusalem! Seht nicht so auf mich herunter, weil ich dunkler bin als ihr. Draußen muss ich alle Tage meiner Brüder Weinberg hüten. Doch für meinen eigenen Weinberg – für mich selbst – kann ich nicht sorgen; dafür bleibt mir keine Zeit!

Sag mir, Geliebter, wo kann ich dich finden? Wo ruhen deine Schafe mittags, wenn’s heiß wird? Andere Hirten, was sollen sie denken, wenn ich nach dir frage, überall suche?“

ER: „Musst du mich fragen, du Schönste der Frauen? Du musst es doch wissen, wo du mich findest! Nimm deine Zicklein und folge dem Schafsweg! Dort wirst du mich treffen, nah bei den Zelten.

Prächtig und schön siehst du aus, meine Freundin, stolz wie die Stute an Pharaos Wagen! Schmü­ckende Kettchen umrahmen die Wangen und deinen Hals zieren Schnüre mit Perlen. Aber noch schöneren Schmuck sollst du haben: silberne Perlen an Kettchen aus Gold!“

Mein Liebster liegt bei mir, an meiner Brust

SIE: „Solange mein König mir nahe ist, verbreitet mein Nardenöl seinen Duft. Mein Liebster liegt bei mir, an meiner Brust, er duftet wie würziges Myrrhenharz, so kräftig wie Blüten vom Henna­strauch; im Weinberg von En-Gedi wachsen sie.“

ER: „Schön bist du, zauberhaft schön, meine Freundin, und deine Augen sind lieblich wie Tauben!“

SIE: „Stattlich und schön bist auch du, mein Geliebter! Sieh, unser Lager ist blühendes Gras, Balken in unserem Haus sind die Zedern und die getäfelten Wände Zypressen. Eine Frühlings­blume bin ich, wie sie in den Wiesen wachsen, eine Lilie aus den Tälern.“

ER: „Eine Lilie unter Disteln – so erscheint mir meine Freundin unter allen anderen Mädchen.“

SIE: „Wie ein Apfelbaum im Walde ist mein Liebster unter Männern. Seinen Schatten hab ich gerne, um mich darin auszu­ruhen; seine Frucht ist süß für mich. Ins Festhaus hat mein Liebster mich geführt; Girlanden zeigen an, dass wir uns lieben. Stärkt mich mit Äpfeln, mit Rosinen­kuchen, denn Liebes­sehn­sucht hat mich krank gemacht. Sein linker Arm liegt unter meinem Kopf und mit dem rechten hält er mich umschlungen. Ihr Mädchen von Jerusalem, lasst uns allein! Denkt an die scheuen Rehe und Gazellen: Wir lieben uns, schreckt uns nicht auf!

Mein Freund kommt zu mir! Ich spür’s, ich hör ihn schon! Über Berge und Hügel eilt er herbei. Dort ist er –schnell wie ein Hirsch, wie die flinke Gazelle. Jetzt steht er vorm Haus! Er späht durch das Gitter, schaut zum Fenster herein. Nun spricht er zu mir!“

ER: „Mach schnell, mein Liebes! Komm heraus, geh mit! Der Winter ist vorbei mit seinem Regen. Es grünt und blüht, so weit das Auge reicht. Im ganzen Land hört man die Vögel singen; nun ist die Zeit der Lieder wieder da! Sieh doch: Die ersten Feigen werden reif; die Reben blühen, verströmen ihren Duft. Mach schnell, mein Liebes! Komm heraus, geh mit! Verbirg dich nicht vor mir wie eine Taube, die sich in einem Felsen­spalt versteckt. Mein Täubchen, zeig dein liebliches Gesicht und lass mich deine süße Stimme hören!

DIE MÄDCHEN: „Ach, fangt uns doch die Füchse, die frechen, kleinen Füchse! Sie wühlen nur im Weinberg, wenn unsre Reben blühen.“

Nur mir gehört mein Liebster und ich gehöre ihm!

SIE: „Nur mir gehört mein Liebster und ich gehöre ihm! Er findet seine Weide, wo viele Blumen stehen. Am Abend, wenn es kühl wird und alle Schatten fliehen, dann komm zu mir, mein Liebster! Komm, eile wie ein Hirsch; sei flink wie die Gazelle, die in den Bergen wohnt.

Nachts lieg ich auf dem Bett und kann nicht schlafen. Ich sehne mich nach ihm und suche ihn, doch nirgends kann mein Herz den Liebsten finden. Ich sehe mich aufstehen und die Stadt durch­eilen, durch Gassen streifen, über leere Plätze – ich sehne mich nach ihm und suche ihn, doch nirgends kann ich meinen Liebsten finden. Die Wache greift mich auf bei ihrem Rundgang. »Wo ist mein Liebster, habt ihr ihn gesehen?« Nur ein paar Schritte weiter find ich ihn. Ich halt ihn fest und lass ihn nicht mehr los; ich nehm ihn mit nach Hause in die Kammer, wo meine Mutter mich geboren hat.

Ihr Mädchen von Jerusalem, lasst uns allein! Denkt an die scheuen Rehe und Gazellen: Wir lieben uns, schreckt uns nicht auf!“

DIE ZUSCHAUER: „Was kommt dort herauf aus der Wüste? Wie Rauch­säulen zieht es heran; es duftet nach Weihrauch und Myrrhe, nach allen Gewürzen der Händler. Schaut hin! Das ist Salomos Sänfte, geleitet von sechzig Beschützern, von Israels tapfersten Helden, im Kampfe erprobt und bewährt. Das Schwert hat ein jeder am Gürtel zum Schutz gegen nächt­liche Schrecken.

Aus edelstem Holz ließ der König den tragbaren Thron­sessel machen, die Säulen mit Silber beschlagen, die Lehne mit Gold überziehen. Aus purpurnem Stoff sind die Kissen, mit Liebe gewebt und bestickt von Jerusalems Frauen und Mädchen. Ihr Frauen von Zion, kommt her, den König zu sehn und die Krone, mit der seine Mutter ihn schmückte zum heutigen Tag seiner Hochzeit, dem Tag voller Freude und Glück.“

ER: „Preisen will ich deine Schönheit, du bist lieblich, meine Freundin! Deine Augen sind wie Tauben, flattern hinter deinem Schleier. Wie die Herde schwarzer Ziegen vom Berg Gilead talwärts zieht, fließt das Haar auf deine Schultern. Weiß wie frisch geschorene Schafe, wenn sie aus der Schwemme steigen, glänzen prächtig deine Zähne, keiner fehlt in seiner Reihe.

Deine Schönheit will ich preisen!

Wie ein schar­lach­rotes Band ziehen sich deine feinen Lippen. Wangen hinterm Schleier schimmern rötlich wie die Scheibe eines Apfels vom Granatbaum. Wie der Turm des Königs David, glatt und rund, geschmückt mit tausend blanken Schilden, ragt dein Hals. Deine Brüste sind zwei Zicklein, Zwillings­junge der Gazelle, die in Blumen­wiesen weiden.

Wenn die Schatten länger werden und der Abend Kühle bringt, komm ich zu dir, ruh auf deinem Myrrhenberg und Weihrauch­hügel. Deine Schönheit will ich preisen! Du bist lieblich, meine Freundin, und kein Fehler ist an dir! Geh mit mir!

Komm, meine Braut, geh doch mit, lass die Berge! Lass den gefahr­vollen Libanon, komm! Fort von dem Gipfel des Berges Amana, fort vom Senir und vom ragenden Hermon, fort von den Lager­plätzen der Löwen, fort von den Bergen der Panther, komm mit!

Verzaubert hast du mich, Geliebte, meine Braut! Ein Blick aus deinen Augen und ich war gebannt. Sag, birgt er einen Zauber, an deinem Hals der Schmuck? Wie glücklich du mich machst mit deiner Zärtlichkeit! Mein Mädchen, meine Braut, ich bin von deiner Liebe berauschter als von Wein.

Du duftest süßer noch als jeder Salbenduft. Wie Honig ist dein Mund, mein Schatz, wenn du mich küsst, und unter deiner Zunge ist süße Honig­milch. Die Kleider, die du trägst, sie duften wie der Wald hoch auf dem Libanon.

Meine Braut ist ein Garten voll erlesener Pflanzen! An Granat­ap­fel­bäumen reifen köstliche Früchte. Herrlich duften die Rosen und die Blüten der Henna. Narde, Safran und Kalmus, alle Weihrauch­ge­wächse, Zimt und Aloë, Myrrhe, alle Arten von Balsam sind im Garten zu finden. Eine Quelle entspringt dort mit kristall­klarem Wasser, das vom Libanon her kommt. Aber noch sind mir Garten und Quelle verschlossen!“

Komm, mein Geliebter, betritt deinen Garten!

SIE: „Kommt doch, ihr Winde, durchweht meinen Garten! Nordwind und Südwind, erweckt seine Düfte! Komm, mein Geliebter, betritt deinen Garten! Komm doch und iss seine köstlichen Früchte!“

ER: „Ich komm in den Garten, zu dir, meine Braut! Ich pflücke die Myrrhe, die würzigen Kräuter. Ich öffne die Wabe und esse den Honig. Ich trinke den Wein, ich trinke die Milch. Esst, Freunde, auch ihr, und trinkt euren Wein; berauscht euch an Liebe!“

SIE: „Ich lag im Schlaf, jedoch mein Herz blieb wach. Da klopft’s! Ich weiß: Mein Freund steht vor der Tür.“

ER: „Mach auf, mein Schatz, mach auf, ich will zu dir! Mein Täubchen, öffne doch, lass mich hinein! Mein Haar ist nass vom Tau der kühlen Nacht.“

SIE: „Ich habe doch mein Kleid schon ausge­zogen und müsst es deinet­wegen wieder anziehn. Auch meine Füße habe ich gewaschen; ich würde sie ja wieder schmutzig machen!“

Durchs Fenster an der Tür greift seine Hand; ich höre, wie sie nach dem Riegel sucht. Mein Herz klopft laut und wild. Er ist so nah! Ich springe auf und will dem Liebsten öffnen. Als meine Hände nach dem Riegel greifen, da sind sie feucht von bestem Myrrhenöl.

Schnell öffne ich die Tür für meinen Freund; doch er ist fort, ich kann ihn nicht mehr sehen. Mein Herz steht still, fast tötet mich der Schreck! Ich suche meinen Freund, kann ihn nicht finden. Ich rufe ihn, doch er gibt keine Antwort.

Helft mir suchen!

Die Wächter finden mich bei ihrem Rundgang. Sie schlagen ohne Mitleid auf mich ein und reißen mir den Umhang von den Schultern. Helft mir suchen!

Ihr Mädchen alle, ich beschwöre euch: Wenn euch mein Freund begegnet, sagt ihm doch, die Liebes­sehn­sucht macht mich matt und krank!“

DIE MÄDCHEN: „Beschreib ihn uns, du schönste aller Frauen! Wer ist es, den du suchst? Was unter­scheidet ihn von anderen Männern, dass du uns so beschwörst?“

SIE: „Mein Liebster ist blühend und voller Kraft, nur einer von Tausenden ist wie er! Sein schönes Gesicht ist so braun gebrannt, sein Haar dicht und lockig und raben­schwarz. Die Augen sind lebhaften Tauben gleich. Ganz weiß sind die Zähne, als hätten sie gebadet in Bächen von reiner Milch. Die Wangen sind Beete voll Balsam­kraut, die herrlichsten Würzkräuter sprießen dort. Wie Lilien leuchtet sein Lippenpaar, das feucht ist von fließendem Myrrhenöl.

Die Arme sind Barren aus rotem Gold, mit Steinen aus Tarschisch rundum besetzt. Sein Leib ist ein Kunstwerk aus Elfenbein, geschmückt mit Saphiren von reinster Art. Die Beine sind marmornen Säulen gleich, die sicher auf goldenen Sockeln stehen. Dem Libanon gleicht er an Statt­lichkeit, den ragenden Zedern an Pracht und Kraft. Sein Mund ist voll Süße, wenn er mich küsst – ja, alles an ihm ist begeh­renswert! Seht, so ist mein Liebster und so mein Freund. Nun wisst ihr’s, ihr Mädchen Jerusalems!“

DIE MÄDCHEN: „Schnell, sag uns noch, du schönste aller Frauen: Wo ging dein Liebster hin? Wir wollen mit dir gehen und nach ihm suchen! Wo könnte er denn sein?“

SIE: „Er ist in seinem Garten, wo Balsam­sträucher stehen, wo er die Herde weidet und schöne Lilien pflückt. Nur mir gehört mein Liebster und ich gehöre ihm! Er findet seine Weide, wo viele Blumen stehen.“

ER: „Schön wie Tirza bist du, Freundin, strahlend wie Jerusalem; wie ein Trugbild in der Wüste raubt dein Anblick mir den Atem. Wende deine Augen von mir, denn sie halten mich gefangen. Wie die Herde schwarzer Ziegen talwärts vom Berg Gilead zieht, fließt das Haar auf deine Schultern. Deine Zähne glänzen prächtig. Weiß sind sie wie Mutter­schafe, wenn sie aus der Schwemme steigen; jedes kommt mit seinem Jungen, keins ist unfruchtbar geblieben: Keiner fehlt in seiner Reihe. Deine Wangen hinterm Schleier schimmern rötlich wie die Scheibe eines Apfels vom Granatbaum.

Meine Liebe gilt nur einer

Lass den König sechzig Frauen, achtzig Konku­binen haben, dazu Mädchen ohne Zahl! Meine Liebe gilt nur einer: meinem makel­losen Täubchen! Sie ist ihrer Mutter Liebling, denn sie ist die einzige Tochter. Sähen sie die andern Frauen, Königinnen, Konku­binen, alle würden sie besingen.“

DIE FRAUEN: „Wer leuchtet so schön wie das Morgenrot, so hell wie der Mond, wie der Sonne Strahl, verwirrend wie Bilder im Wüstensand?“

ER: „Ich ging hinunter in den Walnuss­garten, um mich am frischen Grün des Tals zu freuen, des Weinstocks neue Triebe anzuschauen und auch die ersten Blüten am Granatbaum.“

SIE: „Was ist mit mir? Ich kann mich kaum beherr­schen, obwohl ich doch aus edlem Hause stamme! Was habt ihr davon, mich beim Tanz zu sehen? Was ist denn Beson­deres an Schulammít?“

ER: „Deine Füße sind reizend in den Schuhen, du Fürstin! Und das Rund deiner Hüften ist das Werk eines Künstlers! Einer Schale, der niemals edler Wein fehlen möge, gleicht dein Schoß, süßes Mädchen! Wie ein Hügel von Weizen ist dein Leib, rund und golden und von Lilien umstanden. Deine Brüste sind lieblich wie zwei junge Gazellen.

Du bist schön wie keine andere, dich 
zu lieben macht mich glücklich!

Einem Elfen­beinturm gleich ist dein Hals, schlank und schim­mernd. Deine Augen – zwei Teiche nah beim Tore von Heschbon. Deine Nase ist zierlich wie der Vorsprung des Wacht­turms an dem Weg nach Damaskus. Wie das Karmel­ge­birge ist dein Kopf, hoch und prächtig. Voller Glanz ist dein Haupthaar; in dem Netz deiner Locken liegt ein König gefangen.“

ER: „Du bist schön wie keine andere, dich zu lieben macht mich glücklich! Schlank wie eine Dattel­palme ist dein Wuchs, und deine Brüste gleichen ihren vollen Rispen. Auf die Palme will ich steigen, ihre süßen Früchte pflücken, will mich freun an deinen Brüsten, welche reifen Trauben gleichen. Deinen Atem will ich trinken, der wie frische Äpfel duftet, mich an deinem Mund berau­schen, denn er schmeckt wie edler Wein. …“

SIE: „ … der durch deine Kehle gleitet, dich im Schlaf noch murmeln lässt. Nur ihm gehöre ich! Nur ihm, meinem Liebsten, gehör ich und mir gilt sein ganzes Verlangen! Komm, lass uns hinaus gehen, mein Liebster, die Nacht zwischen Blumen verbringen! Ganz früh stehen wir auf, gehen zum Weinberg und sehn, ob die Weinstöcke treiben, die Knospen der Reben sich öffnen und auch die Granat­bäume blühen. Dort schenke ich dir meine Liebe!“

Kannst du den Duft der Liebes­äpfel riechen? Vor unsrer Tür ist köstlich süßes Obst, die aller­besten Früchte, alt und neu, für dich, mein Liebster, sind sie aufbewahrt!

Ich wünschte mir, dass du mein Bruder wärst, den meine Mutter an der Brust genährt hat. Dann dürfte ich dich unbekümmert küssen, wenn ich dich draußen auf der Straße treffe, und niemand würde dann die Nase rümpfen. Ich nähm dich mit zum Hause meiner Mutter; du könntest mich im Zärtlichsein belehren, ich gäbe dir gewürzten Wein zu trinken und meinen Most von Früchten des Granatbaums.

So nimm mich an dein Herz!

Sein linker Arm liegt unter meinem Kopf und mit dem rechten hält er mich umschlungen. Ihr Mädchen alle, ich beschwöre euch, dass ihr uns nicht in unsrer Liebe stört!“

DIE MÄDCHEN: „Wer kommt dort herauf aus der Wüste, gestützt auf den Arm ihres Liebsten?“

SIE: „Hier unterm Apfelbaum hab ich dich aufge­weckt, wo deine Mutter dich empfing und auch gebar. Du trägst den Siegelring an einer Schnur auf deiner Brust. So nimm mich an dein Herz! Du trägst den Reif um deinen Arm. So eng umfange mich! Unüber­windlich ist der Tod: Niemand entrinnt ihm, keinen gibt er frei. Unüber­windlich – so ist auch die Liebe, und ihre Leiden­schaft brennt wie ein Feuer.

Kein Wasser kann die Glut der Liebe löschen und keine Sturzflut schwemmt sie je hinweg. Wer meint, er könne solche Liebe kaufen, der ist ein Narr, er hat sie nie gekannt!“

IHRE BRÜDER: „Noch ist unsre kleine Schwester für die Liebe viel zu jung, denn sie hat noch keine Brüste. Kommt sie erst ins rechte Alter, dass sie jemand freien will, müssen ihre Brüder wachen. Sperrt sie sich wie eine Mauer, schmückt man sie mit Silber­zinnen. Gleicht sie einer offenen Pforte, schließt man sie mit Zedernbalken.“

SIE: „Eine starke Mauer bin ich, Türmen gleichen meine Brüste. Trotzdem will ich mich ergeben, bitte meinen Freund um Frieden.“

ER: „Salomo hat einen Weinberg auf dem Hang von Ba’al-Hamon. Für die Ernte würde jeder tausend Silber­stücke zahlen; darum wird er streng bewacht. Salomo gönn ich die tausend, auch den Wächtern noch zweihundert – ich hab meinen eigenen Weinberg!“

ER: „Du Mädchen in den Gärten, die Freunde warten schon: Lass deine Stimme hören und rufe mich zu dir!“

SIE: „Komm schnell zu mir, mein Liebster! Komm, eile wie ein Hirsch; sei flink wie die Gazelle, die in den Bergen wohnt.“

Quelle: Das “Hohelied“ aus dem Alten Testament

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