Der Sache auf den Grund gehen

Ein Konzern hatte ein mittel­stän­di­sches Unter­nehmen seiner Branche gekauft und begann mit den Maßnahmen zu dessen Umstruk­tu­rierung zwecks Einglie­derung. Die Manager des gekauften Unter­nehmens hatten jedoch Einwände gegen einige der getrof­fenen Entschei­dungen. Diese basierten auf einer Zahlen­analyse, die der Konzern bei einem weltweit renom­mierten Beratungs­un­ter­nehmen in Auftrag gegeben hatte. Beigefügt waren  Empfehlungen.

Heraus­ge­funden hatten die Konzern­be­rater, dass beim gekauften Unter­nehmen 75 Prozent des Umsatzes mit nur 25 Prozent der Kunden gemacht wurden. Man schlage vor, sich auf diese 25 Prozent, bei denen es sich um Großkunden handele, zu konzen­trieren, Umsatz und Gewinn so konti­nu­ierlich zu steigern. Die 75 Prozent der Kunden, die nur 25 Prozent zum Erfolg beitrügen, könne man vernach­läs­sigen. Die kostspielige Betreuung dieser Kunden solle abgebaut werden.

Die Manager des gekauften Unter­nehmens hielten die Empfeh­lungen, die nunmehr umgesetzt werden sollten, für falsch. Aber es fehlten ihnen die Argumente für ihre Ablehnung. Diese entsprang mehr ihrem Gefühl und ihrer Überzeugung, aus den Erfah­rungen auf dem Markt in der Vergan­genheit die richtige Vorge­hens­weise entwi­ckelt zu haben. Daraufhin gab man ihnen zwei Monate Zeit, für ihre Ablehnung Argumente vorzubringen.

Sie engagierten ihrer­seits einen Berater. Der fragte sich, ob ihn da verän­de­rungs­scheue und bisher nur  mit Klein­kunden erfahrene Manager beauf­tragen wollten. Er schlug vor, dass er sich zunächst den derzeit noch prakti­zierten Verkauf der produ­zierten Reini­­gungs- und Desin­fek­ti­ons­mittel für den Geträn­ke­markt ansehe. In einer zweiten Phase würde er dann in Begleitung von ihm ausge­wählter Mitar­beiter des Außen­dienstes sowohl Groß- als Klein­kunden besuchen.

Man ging auf seinen Vorschlag ein. Schon bald war klar, dass der Verkaufs­in­nen­dienst nicht auf dem neuesten Stand war. Insbe­sondere die Daten­ver­ar­beitung. Da waren Inves­ti­tionen und Schulungen notwendig. Was ihn beein­druckte, war das Engagement und der Mannschafts­geist der Mitar­beiter. Der Infor­ma­ti­ons­aus­tausch und das Bemühen um die Kunden bestimmten das Arbeits­klima. Das Zusam­men­spiel Innen- und Außen­dienst klappte. Natürlich ließe sich manches verbessern.

Die zweite Phase: Außen­dienst. Zuerst Hausauf­gaben. Von jedem der Außen­dienst­mit­ar­beiter, die für eine Begleitung ausge­wählt wurden, waren Listen zu erstellen, Arbeits­un­ter­lagen zur Verfügung zu stellen, Kunden­be­schrei­bungen zu verfassen, Beurtei­lungen vorzu­nehmen, Frage­bögen auszu­füllen, Zeiten zu erfassen, Kontakt­per­sonen zu beschreiben. Alles ungeliebte Arbeit. Aber allen war klar: Es ging um Arbeits­plätze. Abschließend ein ausführ­liches Interview.

Bei den Kunden: Kommu­ni­ka­ti­ons­ver­halten, Stellung der Kontakt­per­sonen, Gesprächs­struktur. Was der Berater bei jedem Kunden heraus­finden wollte: Wer entscheidet darüber, an wen der Auftrag vergeben wird. Welche Quali­fi­kation hat der entschei­dende Mitar­beiter. Welche Anfor­de­rungen stellt er. Was hat für ihn erste Priorität. Wo war er vorher beschäftigt. Was für eine Ausbildung hat er. Steht er für ein Gespräch zur Verfügung. 

Es stellte sich heraus, dass der Berufsweg der Entscheider entscheidend dafür war, welches Reini­­gungs- und Desin­fek­ti­ons­mittel von welcher Firma einge­kauft wurde. Das war in der Regel nicht die Person, die den Auftrag unter­schrieb. Die saß in der Einkaufs­ab­teilung. Aber die verge­wis­serte sich beim jeweils verant­wort­lichen Kollegen, was für ein Produkt er haben wolle. Lag ein günsti­geres Angebot vor, wurde der Kollege damit konfrontiert.

Der Entscheider wählte stets das Produkt aus, mit dem er während seiner Berufs­laufbahn die besten Erfah­rungen gemacht hatte. Davon war er kaum abzubringen. Der Still­stand der Abfüll­anlage, beispiels­weise in einer Großbrauerei, wäre eine Katastrophe, die er zu verant­worten hätte. Da riskierte er nichts. Braumeister einer Großbrauerei zu werden, war sein Karrie­re­hö­he­punkt. Seine Erfah­rungen machte ein Braumeister in den Jahren, die er bei einem der 70Prozent-Kunden hatte sammeln können.

Damit hatten die Manager des mittel­stän­di­schen Spezi­al­un­ter­nehmens das Argument, warum auch Unter­nehmen als Kunden zu umwerben seien, deren Umsatz weit unter dem der Großkunden lag. Die Manager des Chemie­kon­zerns und ihre Berater akzep­tierten diesen Befund. Ohne Klein­kunden keine Großkunden.

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