Das Kräftefeld des Arbeitsmarktes

Fragen an Dr. Ulrich Walwei, Vizedi­rektor des Instituts für Arbeits­­markt- und Berufs­for­schung (IAB) und Honorar­pro­fessor für Arbeits­markt­for­schung am Institut für Volks­wirt­schafts­lehre und Ökono­metrie der Univer­sität Regensburg.

Paul Halbe: Was muss jeder von uns selbst tun, um sich künftig auf dem Arbeits­markt behaupten zu können?

Ulrich Walwei: Wer einen guten Schul­ab­schluss, eine abgeschlossene Berufs­aus­bildung oder ein Studium und die Bereit­schaft zum ständigen Weiter­lernen aufweist, hat gute Karten. Wir alle müssen uns darauf einstellen, dass der Wandel gerade in der Arbeitswelt immer schneller vonstatten gehen wird. Flexi­bi­lität und die Bereit­schaft, sich immer wieder auf neue Heraus­for­de­rungen einzu­lassen, sind ganz entscheidend für beruf­lichen Erfolg.

Paul Halbe: Politiker sehen es als eine ihrer Haupt­auf­gaben an, für möglichst viele Arbeits­plätze zu sorgen. Mit welchen Maßnahmen seitens des Staates kann dafür Sorge getragen werden, dass Arbeit-nehmer die Quali­fi­ka­tionen erwerben, die von den Unter­nehmen auf dem Arbeits­markt nachge­fragt werden?

Ulrich Walwei: Unser Schul­system muss unbedingt besser werden. Kinder aus bildungs­fernen Schichten werden derzeit viel zu wenig gefördert; hier verschwenden wir sehr viel Potenzial. Auch nach der Schule gilt es, die Durch­läs­sigkeit im Bildungs­system zu erhöhen. Da gibt es viele Ansatz­punkte: In der Berufs­aus­bildung könnte man zum Beispiel die Modula­ri­sierung voran­treiben. Generell muss der Staat lebens­langes Lernen stärker fördern als bisher. Das kann beispiels­weise mit der Förderung von klassi­schen Weiter­bil­dungs­an­ge­boten und mit der Öffnung der Hochschulen für Berufs­tätige erreicht werden.

Durch eine intel­li­gente Verschränkung von Theorie und Praxis kann viel gewonnen werden – die dualen Studi­en­gänge sind nicht ohne Grund ein Erfolgs­modell. Das heißt natürlich nicht, dass man die Funktion der Hochschulen auf Ausbil­dungs­ein­rich­tungen für die Wirtschaft verkürzen sollte. Forschung und Bildung darf man nicht auf unmit­tel­baren Anwen­dungs­bezug reduzieren. Und bei aller Verant­wortung des Staates und jedes Einzelnen in Bildungs­fragen möchte ich betonen: Die Unter­nehmen stehen auch selbst in der Pflicht, Ausbildung anzubieten und Weiter­bildung zu fördern.

Paul Halbe: Wie wird sich die Überal­terung in den kommenden Jahrzehnten auf dem Arbeits­markt auswirken?

Ulrich Walwei: Es wird einen starken Wettbewerb um junge und hochqua­li­fi­zierte Arbeits­kräfte geben. Gleich­zeitig werden die nachwach­senden Kohorten nicht mehr Quelle aller Innova­tionen sein können. Um beim Produk­ti­vi­täts­fort­schritt vorne zu bleiben, werden die Unter­nehmen der Weiter­bildung und Weiter­ent­wicklung ihrer Beleg­schaft einen wichti­geren Stellenwert als bisher einräumen müssen.

Paul Halbe: Wird es künftig noch vorge­gebene Alters­grenzen bei der Arbeit geben?

Ulrich Walwei: Nicht zuletzt wegen der steigenden Lebens­er­wartung gehe ich hier in Zukunft von mehr Flexi­bi­lität aus. Wir dürfen bei diesem Thema jedoch nicht vergessen: Bei belas­tenden Tätig­keiten bestehen besondere Schwie­rig­keiten. Hier muss dem Gesund­heits­schutz eine stärkere Rolle als bisher zukommen, um das Erreichen einer regulären Alters­grenze überhaupt zu ermöglichen.

Auch wenn das Erreichen einer Alters­grenze immer weniger mit einer erzwun­genen Beendigung des Arbeits­ver­hält­nisses einher­gehen wird: Als Orien­tie­rungs­punkt für die Alters­si­cherung bleiben Alters­grenzen wichtig, zum Beispiel um eine Eckrente zu berechnen.

Paul Halbe: Ist der Single der ideale Arbeitnehmer?

Ulrich Walwei: In der heutigen Arbeitswelt könnte man vielleicht auf den ersten Blick diesen Eindruck haben. Singles sind häufig räumlich mobil und flexibel, gerade mit Blick auf Arbeits­zeiten. Auf Dauer wird Zufrie­denheit aber sicher nicht allein durch Arbeit herge­stellt. Der perma­nente Single ist mögli­cher­weise irgendwann kein glück­licher und zufrie­dener Arbeit­nehmer mehr. Und das kann dann auch Auswir­kungen auf die Leistung haben. Die Verein­barkeit von Familie und Beruf zu fördern, liegt also im ureigensten Interesse der Unternehmen.

Paul Halbe: Vor Jahren wurden große Hoffnungen auf die Entwicklung der Telearbeit gesetzt. Doch die Entwicklung ist zögerlich. Ist die Trennung von Arbeiten und Wohnen in der Gesell­schaft so festge­schrieben, dass sie sich auch künftig erhalten wird?

Ulrich Walwei: Hier müssen wir diffe­ren­zieren. Telearbeit als ausschließ­liche Arbeitsform kommt oft nicht in Frage, weil es der persön­lichen Präsenz gegenüber Kunden oder dem Team bedarf. Temporäre Telearbeit gibt es aber durchaus – und das nicht nur in Sonder­fällen, zum Beispiel zur Kinder­be­treuung oder bei Erkrankung von Famili­en­mit­gliedern. Stark verbreitet ist auch das tageweise Arbeiten von zu Hause aus. Das hilft nicht nur, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen, sondern kann auch kreative Freiräume schaffen.

Paul Halbe: Braucht der deutsche Arbeits­markt mehr Unternehmer?

Ulrich Walwei: Das kann man so allgemein nicht sagen. Es kommt sehr auf die Produkte und die Ideen der Selbstän­digen an. Wichtig sind dabei zudem die Motive: Wird aus der Not heraus ein eigenes Unter­nehmen gegründet oder aufgrund einer Geschäftsidee? Geht es um etablierte Märkte und wird dadurch ‚nur‘ der Wettbewerb gefördert oder handelt es sich um Pioniere? Von Letzteren können wir gar nicht genug haben. Hier ist auch das Bildungs­system gefragt, das die Selbstän­digkeit als wichtige Option vermitteln kann. Der Staat tut sicher gut daran, die Existenz­gründung gezielt zu fördern.

Paul Halbe: Die tradi­tio­nellen Karrieren lösen sich teilweise auf. Wird es künftig vorwiegend zu ‚Gelegen­heits­arbeit‘ kommen: Zeiten als Arbeit­nehmer wechseln mit Zeiten als Selbstän­diger, mit Zeiten inten­siver fachlicher Weiter­bildung, mit Famili­en­phasen und Auszeiten, mit Phasen beruf­licher Neuorientierung?

Ulrich Walwei: Die sogenannten ‚flockigen Biogra­phien‘ können zwar beim beruf­lichen Einstieg durchaus eine Rolle spielen. Es mag auch einzelne Branchen geben, zum Beispiel die Medien­branche, für die das tenden­ziell zutreffen kann. Auf breiter Front sind solche Entwick­lungen aber eher nicht wahrscheinlich. Auch in turbu­lenten Zeiten wollen die Unter­nehmen ihre Stamm­be­leg­schaften halten. Und die Arbeit­nehmer bevor­zugen in der Regel ein stabiles Umfeld und einen stabilen Einkommensstrom.

Paul Halbe: Wie wird sich die inter­na­tionale Arbeits­teilung entwickeln?

Ulrich Walwei: Als Hochlohnland liegt unsere Zukunft sicher nicht in der Massen­fer­tigung leicht herzu­stel­lender Produkte. Viele Chancen eröffnen sich für uns dagegen bei modernsten Techno­logien, die sehr viel Know-how erfordern. Die intel­li­gente Verknüpfung von Indus­trie­pro­duktion und ergän­zenden Dienst­leis­tungen könnte in Zukunft der Schlüssel zum Erfolg sein. Solche System­lö­sungen könnten Deutsch­lands Wettbe­werbs­po­sition auf dem Weltmarkt stärken.

Walwei: 2009

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