Kapitel 11

Sind Sie konkurrenzfähig?

Was Arbeit ist und welcher Wert ihr gegeben wird, kann jeder von uns nur für sich selbst bestimmen. Arbeit ist ureigener Ausdruck unserer Persön­lichkeit. Nur Verkür­zungen dessen, was Arbeit ist, machen Tätig­keiten bewertbar durch einen Tarif oder ein Honorar. Die Zerlegung der Arbeit in Tätig­keiten, für die Lohn bezahlt wird, hat den Irrtum verbreitet, geldwerte Routi­ne­leistung sei schon alles. Aber unerbittlich macht der technische Fortschritt, machen vor allem Roboter deutlich: Arbeit muss mehr sein als das, was Maschinen leisten können.

Unsere körper­liche Ausrüstung und Verfassung, unsere Begabungen und Minder­be­ga­bungen, unsere intel­lek­tu­ellen Fähig­keiten sowie unsere charak­ter­lichen Stärken und Schwächen geben die Richtung vor, wo wir unser Arbeitsfeld finden. Wer seine Begabung zum Erlernen von Sprachen entdeckt hat, aber keinen Walzer­schritt zustande bringt, wird keine Tanzschule eröffnen wollen, sondern eher Dolmet­scher werden.

Außerdem: Die Gesell­schaft, in die wir hinein­ge­boren werden, eröffnet uns nur die ihr gemäßen Arbeits­mög­lich­keiten. Wer sich damit nicht zufrieden geben will, muss revolu­tio­nieren oder entfliehen. Lediglich in den entwi­ckelten Gesell­schaften des Westens ist die Mehrheit der Menschen relativ frei, sich eine Arbeit auszu­wählen. Dort hält man das für eine Selbst­ver­ständ­lichkeit; in Deutschland gibt es deshalb sogar den Begriff der „Zumut­barkeit“.

Nur wer Herr seiner Arbeit ist, kann Herr seiner selbst sein

Jede Generation versucht, ihr Leben nach ihren Vorstel­lungen zu organi­sieren, Wohlstand zu schaffen oder zu erhalten, Lebens­vor­sorge zu treffen, Einfluss und Ansehen zu gewinnen. Als Kinder und Jugend­liche wachsen wir in diesen Prozess hinein. Und weil Arbeiten mit Anstrengung und Selbst­über­windung zu tun hat, kommt schon bald die Frage: Wofür arbeite ich denn eigentlich? Für mich, meine Familie, meine Mitmen­schen, für meine Firma, meinen Chef, für die Durch­setzung einer Idee, für Volk und Vaterland, für eine bessere Welt?

Wenn man in Einstel­lungs­ge­sprächen nach den Wunsch­vor­stel­lungen bezüglich der Beschäf­tigung fragt, hört man häufig, dass es eine inter­es­sante und abwechs­lungs­reiche Tätigkeit sein soll. Gemeint ist: Die Arbeit soll Erleb­niswert haben, soll anregend sein, berei­chern, der persön­lichen Entfaltung dienen. Alles Forde­rungen, die an den Arbeit­geber gerichtet werden.

Sich selbst die Arbeit so einrichten, dass sie inter­essant ist, dass sie einen vorwärts bringt, daran denken nur wenige. Die vorherr­schende Meinung ist: Arbeit schafft man sich nicht selbst, man bekommt sie. Aber wenn sie Ausdruck unserer Indivi­dua­lität ist, dann müssen wir Arbeit zu unserer ureigenen Angele­genheit machen.

Die persön­liche Katastrophe durch Arbeits­lo­sigkeit entsteht aus einer falschen Einstellung zur Arbeit: Ich muss darauf warten, dass mir andere über die Arbeits­agentur eine Arbeit geben. Das ist eine Haltung, die schon fast an Lebens­un­tüch­tigkeit grenzt, weil man seine Arbeits­mög­lich­keiten zur Sache anderer hat werden lassen.

Das ist grob fahrlässig sich selbst gegenüber. Das korre­spon­diert mit Einstel­lungen wie: Für meine Gesundheit ist mein Arzt zuständig, für die Erziehung meiner Kinder die Lehrer und für meine Alters­si­cherheit der Staat. In einem solchen Verständnis wird der Arbeits­platz zum Service, auf den man Anspruch erhebt. Und man verkümmert, wenn einem keine Arbeit geboten wird.

Die wirklich­keits­ge­rechte Einstellung zur Arbeit ist: Ich bin mein eigener Arbeit­geber – auch wenn ich in Diensten eines Unter­nehmens stehe. Das heißt: sich mit seiner Arbeit identi­fi­zieren, sie als Ausdruck seiner Persön­lichkeit sehen. Zugegeben, das ist nicht in jedem Job möglich. Aber Arbeit sollte nicht nur das sein, was man im Job macht, sondern alles, was man für sein eigenes und das Leben anderer tut.

Was angeblich menschen­ge­rechte Arbeit ist

Da viele in Sachen einkom­mens­fä­higer Arbeit ihre Inter­essen als Arbeit­nehmer vertreten lassen, statt sie selbst wahrzu­nehmen, sind die Vorstel­lungen derer, die sich als Arbeit­neh­mer­ver­treter verstehen, von Belang. “Menschen­ge­recht”, so steht es in einer Veröf­fent­li­chung des Deutschen Gewerk­schafts­bundes von 1972, “ist eine Arbeit dann, wenn sie keine gesund­heit­liche Gefährdung hervorruft und ein Höchstmaß an Wohlbe­finden erreicht wird.”

Was ist Gesundheit? Die Weltge­sund­heits­or­ga­ni­sation definiert: “Gesundheit ist ein Zustand völligen körper­lichen, seeli­schen und sozialen Wohlbe­findens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen.” In dieser Übersetzung aus dem Engli­schen wurde der WHO-Text 1974 im Bundes­ge­setz­blatt veröf­fent­licht. Wer ist dann noch gesund? Zum Schlüs­sel­be­griff wird Wohlbe­finden erhoben.

Was ist Wohlbe­finden? Die Frage bleibt unbeant­wortet. Aber in manchem Büro stand zu Zeiten, in denen die Arbeits­plätze noch relativ sicher waren, auf einem Wandzettel zu lesen, was der Umkehr­schluss aus dem “Höchstmaß an Wohlbe­finden” macht: “Mit Arbeit versaut man sich das ganze Leben.” In der einen wie in der anderen Formu­lierung: Weiter kann man sich von der wahren Sinngebung, die der Arbeit zukommt, nicht entfernen.

Stichwort “Wohlbe­finden”. Die Gestaltung von Arbeit ist vielfältig, und sie wird so unter­schiedlich erlebt, dass beispiels­weise ein und dieselbe Arbeit dem einen Wohlbe­finden und dem anderen Übelkeit bereitet. Zur Arbeit gehört Anstrengung ebenso wie Leich­tigkeit, Konzen­tration wie Entspannung, Einsamkeit wie Gesel­ligkeit. Arbeit hat mit Lebens­zielen und der persön­lichen Lebens­ein­stellung zu tun.

Menschen nehmen unglaub­liche Strapazen und Gefahren auf sich, um das zu erreichen, was sie sich einmal vorge­nommen haben. Oft sind es Vorsätze, die in der Kindheit oder Jugend gefasst worden sind: Nie wieder arm sein; allen zeigen, dass man es doch zu etwas bringt; Macht über das gewinnen, was einen unter­drückt; dieje­nigen beschämen, die einen ausge­lacht haben. Solche Arbeits­an­triebe stecken wie Stachel im Fleisch. Mit Wohlbe­finden haben sie nichts zu tun.

Des Arbeits­markt spiegelt die Missver­ständ­nisse von Arbeit wider

Arbeit hat mit Licht und Schatten, Schweiß und Genia­lität, Irrtum und Virtuo­sität, Scheitern und Triumph zu tun. Gerade in der Arbeit erleben die Menschen die Höhen und Tiefen ihrer Existenz. Und welcher Hohn, welche Ignoranz ist es, menschen­ge­rechte Arbeit an einem auf Gesundheit basie­renden Begriff des Wohlbe­findens festzumachen!

Was ist mit den Menschen, die trotz einer Krankheit, trotz ihrer Gebrechen, trotz ihrer Handicaps in ihrer Arbeit ihren Lebenssinn finden? Was ist mit den Menschen, die gerade wegen ihrer Arbeit auch Gefahren und Leiden auf sich nehmen? Ist das alles keine menschen­ge­rechte Arbeit?

Ob eine große Zahl von Arbeits­losen den Arbeits­markt kennzeichnet oder ob ein riesiger Mangel dringend benötigter Mitar­beiter oder Angestellter mit bestimmten Quali­fi­ka­tionen herrscht, immer zeigt sich ein fehlge­lei­tetes Verständnis und eine falsche Bewertung von Arbeit. Alle Verteu­felung und gewaltsame Unter­bindung von Markt­pro­zessen hat Märkte als einzig wirklich­keits­ge­rechte Ausgleichs- und Bewer­tungs­ver­fahren nicht dauerhaft ausschalten können.

Deshalb wird man die Schwarz­arbeit nicht unter­binden können – trotz ihrer propa­gierten Ächtung, trotz aller Kontrollen, trotz drasti­scher Strafen. Selbst­ver­ständlich sind Märkte zu organi­sie­rende Veran­stal­tungen. Aber immer wieder wird dabei die Veran­staltung als solche funkti­ons­un­tüchtig gemacht – das Kind wird mit dem Bade ausgeschüttet.

Der Arbeits­markt lässt sich auf Dauer nicht außer Kraft setzen. Wer das mit fernseh­wirk­samer Demons­tra­ti­ons­macht und politi­schem Durch­set­zungs­ver­mögen dennoch betreibt, der mag für den Augen­blick das Durch­schlagen der Markt­kräfte verhindern, aber später schlagen sie mit um so größerer Gewalt durch.

Die Debatte um den Wirtschafts­standort Deutschland macht deutlich:

  1. Arbeit kann der Bewertung durch Märkte nicht entzogen werden.
  2. Die Märkte bewerten Arbeit nach ihrem Beitrag zur Prospe­rität – nicht nach Wohlbefinden.

Alles Lamento von wegen “sozialer Ungerech­tigkeit“ kann daran nichts ändern. Wer das nicht wahrhaben will, verwechselt die Welt, wie sie ist, mit dem Paradies, das leider nicht ist – und das keine politische Macht der Welt uns bescheren kann.

Freude am Wettbewerb haben

Auf Märkten herrscht Konkurrenz. Märkte sind keine Harmonie-Veran­stal­tungen, sondern der Austausch von Leistungen und Erwar­tungen auf künftige Leistungen. Der Lehrherr sagt sich: Der Junge macht einen guten Eindruck, hat im Test gezeigt, dass er Rechnen und Schreiben kann, ihm werde ich eine gute Berufs­aus­bildung geben.

Wer den Jugend­lichen die Wahrheit der Märkte beispiels­weise durch eine Lehrstellen-Garantie ersparen will, schafft keinen sozialen Fortschritt, sondern betrügt die jungen Leute um die wichtige Erfahrung: Leben ist Wettbewerb. Herrscht Mangel an geeig­neten jungen Menschen für eine Lehrstelle, müssen die Lehrherren sich dem Wettbewerb um ausbil­dungs­be­reite und ausbil­dungs­fähige Lehrlinge stellen.

Wie man Freude am Wettbewerb um Arbeit gewinnen kann, konkur­renz­fähig wird, das zu vermitteln, wäre die Aufgabe von Elternhaus, Schule und Gesell­schaft. Sport­vereine können dabei hervor­ra­gende Hilfe bieten, insbe­sondere wenn sie dabei faires Verhalten einüben. Denn bei jedem Wettbewerb geht es auch um Moral.

Ohne Moral entartet Wettbewerb zu Gewalt, Bruta­lität und gegen­sei­tiger Vernichtung. Neben der Unter­drü­ckung durch die Paradies­macher ist für Märkte dies die Gefahr für die Funkti­ons­tüch­tigkeit von Märkten: die Zerstörung durch die Unmoral der oder einiger Teilnehmer.

Deshalb muss in einer Gesell­schaft von Moral geprägtes Konflikt­ver­halten maßgebend sein. Gegen­teilige Inter­essen müssen fair verhandelt werden können. In diesem Sinne ist der Leistungs­aus­tausch der Märkte immer eine Veran­staltung des Ausgleichs, man einigt sich auf einen fairen Kompromiss.

Auf einem orien­ta­li­schen Bazar den Preis verhandeln, ist eine Schulung in Geben und Nehmen; das hat nur dann mit Feilschen oder übers Ohr hauen zu tun, wenn man diese Art des markt­ge­rechten Umgangs mitein­ander nicht beherrscht. Es ist wie in der Politik: Nicht die Politik verdirbt den Charakter, sondern schlechte Charaktere verderben die Politik.

Da wir alle in vielfäl­tiger Weise Markt­teil­nehmer sind und weil Märkte in ihrer Funktion von unserem fairen Verhalten abhängig sind, müssen wir in unserem ureigenen Interesse darauf achten, dass die Moral stimmt – nicht nur bei den anderen, sondern vor allem bei uns selbst. An sich arbeiten heißt deshalb auch, sich charak­terlich verbessern.

Die Bequem­lichkeit des Mündels überwinden!

Wer sich nicht fremd bestimmen lassen will, muss mit der Arbeit bei sich selbst anfangen, muss an sich selber arbeiten. Nur so wird man erwachsen. Das ist der Prozess, mit dem man in seinem Elternhaus beginnen muss. Am Ende vollzieht sich das sogenannte Abnabeln, wenn wir uns von unserem Zuhause lösen und selbständig werden.

Das darf keine Flucht sein oder nur ein Vormund­schafts­wechsel – beispiels­weise in das ideolo­gie­be­stimmte Milieu autori­tärer Verei­ni­gungen. Zu sich selber finden, heißt die Aufgabe, die mit dem Weggang von zu Hause erstmals im Leben zu bewäl­tigen ist.

Keine Zuflucht suchen bei Vormündern, die vorgeben, einem die Unannehm­lich­keiten des Lebens abzunehmen. Meistens denken diese Vormünder mehr an sich selbst, an ihr eigenes Wohlbe­finden. Misstrauen ist angebracht, wenn einer vorgibt, die Probleme lösen zu können, die wir bei eigener Anstrengung auch selber oder – wie bei der Arbeit – nur wir selber lösen können. Im Zweifelsfall missbraucht uns da einer als seine Macht­basis für seine Ideologie.

In den jungen Jahren des Erwach­sen­seins muss die Fähigkeit zum Alleinsein, eben zur Selbstän­digkeit erlernt werden. Später wird das immer schwie­riger. Denn die Fähigkeit, mit sich allein sein zu können, lässt sich in der Phase des Selbstän­dig­werdens am besten mit der jugend­lichen Fähigkeit des unbeküm­merten Schließens von Kontakten und Freund­schaften ausbalancieren.

Diese Kombi­nation ist wichtig, um den Ausgleich von “allein” und “gesellig” zu finden und zu stabi­li­sieren. Sonst könnte das Alleinsein zur Einsamkeit werden oder, wenn die Einsamkeit nicht zu ertragen ist, zur Flucht in Gemein­schaften, in denen man sich aus Furcht vor der Einsamkeit ständig unterordnet.

Mangelnde Selbstän­digkeit führt zu einem Leben als Mündel, als Stimmvieh, als Unter­ge­bener, als Unter­wür­figer, als Fremd­be­stimmter. Mancher findet sein Wohlbe­finden dann als satter Sklave. Die meisten fühlen sich indes unwohl in ihrer Unselbständigkeit.

Aber sie drücken sich vor der Einsicht, dass nur sie selbst das ändern können und dass sie den schmerz­lichen Verän­de­rungs­prozess als Entzie­hungskur von Bequem­lichkeit, Faulheit, Diszi­plin­lo­sigkeit, Genuss­drang, Verant­wor­tungs­lo­sigkeit etc. auf sich nehmen müssen. Sie ahnen nicht, welches Glücks­gefühl den erwartet, der die Entzie­hungskur geschafft und die Freiheit der Selbstän­digkeit erlangt hat.

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